Das grossflächig projizierte Foto eines idyllischen Waldes, darauf abgelichtet dieselbe Frau, die sich während der nächsten rund 60 Minuten nackt vor diesem Foto von links nach rechts bewegen wird, ohne sich dabei jemals wirklich zu entblössen. Vogelgezwitscher, Stille, Grossstadtlärm oder die Schweizer Nationalhymne (Stirnrunzeln im Saal) streicheln hie und da als Soundkulisse das Dargestellte; manchmal parallel, manchmal konträr zum Gesehenen. Das Waldstück wandelt sich nicht nur durch die sachten oder erschütternden Töne, sondern auch mit Hilfe von subtilen Lichteffekten auf der Leinwand, die wechselweise Nähe oder Entfremdung auslösen, wenn der Wald warmgelb, nebligkühl oder dämmrigblau anmutet. Durch die Einwirkung dieser zwei Elemente, Licht und Ton, und das sorgfältig-fliessende, teilweise fast schon zerbrechlich-unsichere Vorankommen der Tänzerin vor dem Bild kann es dem Publikum gelingen, die quälende Langsamkeit, die gleichsam eine wohltuende Entschleunigung ist, in sich aufzunehmen. Die Welt (ein Park?) dreht sich, der Mensch dreht sich als Teil und gleichzeitig Fremdkörper der Natur mit und mit und mit.
27-1
Die Nationalhymne kam zirka in der Mitte des Stücks – sie klang wie von Ferne, im Gegensatz zum Vogelgezwitscher und den Naturgeräuschen. Ich konnte sie schwer einordnen, habe nicht ganz begriffen, warum sie so dominant eingesetzt wurde. Auch seltsam waren die später zu hörenden Muezzingesänge – wie die Geräuschkulisse einer arabischen Stadt bei Sonnenuntergang zu vibrierender Gebetszeit. Sowohl Hymne als auch Muezzin erzählten für mich ein Zusammenkommen unter Menschen. Ein vertrautes Feeling, etwas, das mit Territorium, mit „Kultur“ als Gegenpart der „Natur“, die scheinbar so unberührt vor sich hinvegetiert, zu tun hat.
27-2
« Parc national » se propose d’explorer les frontières entre humain et non humain, entre culture et nature. Sur une toile géante baignée dans une semi pénombre, la photographie d’un paysage arboré constitue l’horizon du spectateur, tandis qu’une bande son qui oscille entre rumeurs lointaines de la ville et bruits de la nature, nous transporte dans une expérience des sens. Ce spectacle invite à un état contemplatif qui ouvre les signifiants et nous renvoie à nous-mêmes, à nos références. Devant la toile, une femme de dos, assise à même le sol, nue, se meut peu à peu lentement, comme un insecte ou une feuille d’arbre pliée par le vent : un dialogue s’établit entre le corps-matière de la danseuse et le paysage végétal.
Anne Delahaye und Nicolas Leresche: Parc National. 04.02.2017, Zeitgenössische Schweizer Tanztage, Théâtre du Galpon, Genf