Wayne McGregor: Autobiography. 22.08.2018, Internationales Sommerfestival, Kampnagel, Hamburg.
Die Frau in der Reihe vor mir whatsappt. Sie whatsappt 85 Minuten, sie whatsappt vom Beginn von Wayne McGregors „Autobiography“ bis zum Schlussapplaus, sie macht Fotos, die sie dann verschickt, sie schaut sich Memes an, sie tippt Text. Dunkler Zuschauerraum, nur das Handy in der Reihe vor mir leuchtet, die Frau verschickt ein Emoji. Ich möchte was sagen, ich möchte mich beschweren, ich möchte darauf hinweisen, dass ich mich nicht auf das Stück konzentrieren kann, dass die Tänzer gestört werden, ich möchte diese Situation beenden, aber ich habe Angst, dass die Frau sich rechtfertigt, zu diskutieren beginnt, dass die Störung noch unerträglicher wird. Journalismus: beobachtend, auf keinen Fall eingreifend, ach.
Manche Theaterwissenschaftler vermuten, dass in den public playhouses der elisabethanischen Epoche das Publikum oft alles andere tat als in stiller Andacht zu verharren: bei Gefallen feuerte es die Schauspieler an, oder, wenn es gelangweilt wurde, beschimpfte oder ignorierte es sie und unterhielt sich selbst.
Die Dame mit dem Smartphone fand möglicherweise schlicht uninteressant, was da auf der Kampnagel-Bühne passierte; bestenfalls konnte sie nicht erkennen, was die präzise gezirkelten Choreographien McGregors mit ihrem eigenen Leben zu tun haben sollten, schlimmstenfalls gehörte sie zu jenen bedauernswerten Opfern der digitalen Evolution, die ohne ihr Display-to-go kaum noch irgendwas wahrnehmen können geschweige denn mit irgendwem grinsepiktogrammfrei kommunizieren.
Davon abgesehen sollte Theater, das nicht (ver)stört, idealerweise damit rechnen, dass es von den wacheren Teilen des Publikums gestört wird, oder schlicht ignoriert. Eine schöne Idee übrigens, die Performance eines Zuschauers zu rezensieren und nicht die auf der Bühne.
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